Brennnesseln und laute Biester

Jagen kann manchmal auch einfach sehr, sehr deprimierend sein. Man sitzt stundenlang in gespannter, manchmal auch weniger gespannter Stille, traut sich kaum zu husten, jedes Hundegeräusch wird schon fast mit fast körperlichen Schmerzen quittiert und was passiert? Nichts.


Genau nichts. Oder wenigstens fast nichts.

Jäger haben eine Engelsgeduld, meistens jedenfalls.

Ich frage mich hin und wieder, ob die ganzen Spaziergänger mich nicht mitkriegen, die so an meinem Sitz vorbeilaufen. Bei vielen Menschen merkt man, wie wenig sie tatsächlich von ihrer Umwelt mitkriegen, Smartphone vor den Augen, der Hund frei voran, sich dann aber grandios wundern, warum der Hund nur Mist macht.

Gestern Abend war es aber tatsächlich anders.

Ich sass an einem vielversprechenden Stück an, Hafer, Raps, Wiese, Rüben und Weizen wechseln sich dort ab, ein absolutes Sauenparadies und den Abend zuvor war gerade eine Sau dort erlegt worden, gute Chancen auf Beute.

Noch aber war es hell und schwülwarm, ich schwitzte so vor mich hin und verfluchte wieder einmal die Idee, so früh jagen zu gehen, aber Bock könnte ja auch noch kommen, also Füsse still halten.

In das Zirpen der Grillen und die laute Stille, die nur von meinen sehr unbeholfenen Versuchen zu stricken gestört wurde, mischten sich menschliche Stimmen.

Wie laut Menschen sein können, merkt man erst, wenn man still sitzt.

Es tut schon fast in den Ohren weh und man hört sie auf 500 Metern anlatschen.

Die beiden Berner Sennhunde des Pärchens liefen frei ungefähr einen halben Meter vor ihnen. Innerlich zählte ich bereits, wie lang es dauern würde, bis sie mich bemerken würden...

Neuer Rekord und ich sass quasi auf Augenhöhe.


Prophylaktisch leinten sie die Hunde an und grüssten mich verhalten, dabei hatte ich freundlich gewunken.

Naja. Lief ja eh nichts.

Ich wünschte also einen schönen Abend und lächelte freundlich. Was eine kleine Geste ausmachen kann.... Wir kamen ins Gespräch.

„Was jagen sie denn?“

„Sauen.“

„Die gibt es doch hier gar nicht, man sieht sie ja gar nicht.“

Ich klärte auf und zeigte einige -für mich- sehr offensichtliche Sauenspuren.

Die beiden tauten im Laufe des Gesprächs auf, die Hunde wurden abgeleint, nachdem Lotti vorwitzig und ein bisschen verschlafen den Kopf aus der Kanzel gestreckt hatte. Sie ist ein Eisbrecher. Ich versicherte ihnen, dass sie um ihre Hunde keine Angst zu haben brauchen und sie entschuldigten sich, dass sie mir jetzt alle Tiere vertrieben hätten, was aber gar nicht der Fall war. Zehn Minuten später stand ein Schmalreh und ein Fuchs auf der Wiese, Wildtiere kennen sinnkupierte Menschen.

Irgendwann wurde es Zeit ins Bett zu gehen, auf der Jagd nehme ich das sehr wörtlich. Die Schlafkanzel stand ein paar hundert Meter weiter, der Mann in meinem Leben meinte lapidar „Nur hier geradeaus...“

Treudoof latsche ich also „geradeaus“.

Leider hatte mir das Männle vergessen zu sagen, dass ich erst zweimal in einem Wassergraben landen, dann in einem Zaun hängen bleiben und sogar nochmals ein kühles Bad im Wasser-graben nehmen, bevor ich in übermannshohen (ok, bei mir nicht so schwierig) Schilf die Leiter zur Kanzel  finden würde - dies mitten in der Nacht, allerdings dort schon mit Taschenlampe, der Drops war eh schon gelutscht.

Nun endlich - mittlerweile laut fluchend - den Weg ins Bett anzutreten, nicht ohne vorher noch herzhaft in einen Strauch Brennnesseln gefasst zu haben. Einfach Herrlich!

Versteht sich von selbst, dass Lotte und ich diese Nacht keinen weiteren Anblick hatten. Menschen.

Laute Biester!

Alica Junker