Der Keiler mit den leisen Sohlen

Fünf Wochen ist es jetzt her, seit ich an meinem Lieblingsplatz im Revier einen grossen Keiler ausgefährtet habe.

Seit fünf Wochen streift er unbemerkt und ungesehen durchs Revier. 

Es verging kein Tag, an dem nicht jemand auf dem Ansitz auf den Bassen war.

Doch Fehlanzeige, gesehen hat ihn nie jemand, aber die frischen Fährten waren jeden Morgen auf dem Acker und der Wiese nebenan zu sehen!   


Doch an diesem Wochenende sollte alles anders werden...

Wie fast immer übers Wochenende fuhr ich ins Revier, leider ohne meine bessere Hälfte Alica, die zu Hause noch arbeiten musste. Aber Lottehü, unsere Beaglehündin habe ich natürlich mitgenommen, ich will ja nicht, dass mein Arschmaraner niemanden zum ärgern hat!

Nach dem Versäubern der Hunde, packte ich mich warm ein.

Auf der Kanzel angekommen, kuschelte ich mich in meinen Schlafsack, denn minus 6° Grad darf man nicht unterschätzen, vor allem wenn der Wind noch geht.

Meine Wärmebildkamera zur Hand genommen und geschaut, was so alles herumläuft; das Wetter war echt beschissen, neblig, kalt, windig.

Der ganze Acker, die Wiese, das Schilf, alles wie ausgestorben.

Nach drei langen Stunden sitzen habe ich schliesslich meine sieben Sachen gepackt. Ich fuhr neben den Acker, wo ich den lautlosen heimlichen Zeitgenosse gefährtet hab. Dort drehe ich mich ab, fahre langsam und suche den Schilf ab, als ein riesiger weisser Kegel im Bild meiner Wärmebildkamera  direkt vor dem Schilf auftaucht!!

«Das ist er, das kann nur der sein», denke ich, fahre rechts ran und halte sofort an.

In diesem Moment schoss mir das Adrenalin heiss durch die Venen, da ich wusste, dass ich ihn anpirschen muss. Zu gross ist die Distanz zwischen uns. Also Jacke im Auto angezogen, Halstuch über die Nase, Mütze weit nach unten gezogen, noch schnell das Steadyfi umgeschnallt und vor lauter Aufregung beim Aussteigen habe ich erstmal die Autotür zugeknallt!

Aber der Basse hat es zum Glück nicht bemerkt.

Ich musste übers offene Feld pirschen, mindestens 250 Meter, damit ich auf Schussdistanz heran komme. Keine einfache Aufgabe, wenn alles gefroren ist und sich jeder Schritt anhörte, als würde man auf eine Chipstüte treten!

Die ersten 100 Meter waren noch gut zu machen... Aber auf den letzten 100 Metern musste jeder Schritt sitzen.

Der Basse stand seelenruhig dort und pflügte die Wiese um, trotz Frost.

Nach 15 Minuten hatte ich es bis auf die letzten 80 Meter geschafft...

Das Pulsar zeigte mir, dass er langsam Lunte roch, aber der Wind stand mir eiskalt und mitten im Gesicht, also konnte er mich einfach nicht riechen. Durch den Nebel konnte er mich nicht sehen, ich ihn aber ohne die Wärmebildkamera ebenfalls nicht!

Mein Plan war, dass ich so lange pirsche, bis er zum ersten Mal richtig aufwirft.

Nach weiteren 20 Metern stand er da und schaut direkt zu mir.

Ich erstarrte, machte keine Bewegung und der Atem stockte mir.

Es war totenstill.

Langsam und behäbig zieht der Keiler vor mir durch, ich lege meine Waffe auf das Steadify, ziehe mit der Sau mit, der Schuss bricht!

Das Mündungsfeuer erhellt den Boden vor meinen Füssen.

Der Keiler verschwindet im Nebelmeer.

Schnell zur Wärmebildkamera gegriffen und geschaut.

Es gehört zu den schlimmsten Momenten in einem Jägerleben, wenn ein Tier nicht direkt im Knall verendet. Gebannt schaue ich durch meine Kamera wie der Keiler mit letzter Kraft über den Hügel rannte, der sich auf dem Acker befindet. In der Mitte des Hügels bricht er schliesslich tot zusammen!

Endlich kann ich wieder Atem holen, den ich die ganze Zeit angehalten hatte.

Es waren zwar nur wenige Sekunden gewesen, aber diese Zeit kommt einem unwirklich lang vor, als würde sich die Erde langsamer drehen...

Wie immer halte ich Totenwache, gehe noch nicht zum Stück, lasse es alleine und in Ruhe sterben.

Nach einigen Minuten gehe ich langsam Richtung Keiler.

Ich trete an das Stück heran, knie mich nieder, zieh meine Mütze aus und nehme das Halstuch vom Gesicht. 

Ich gebe mich zu erkennen, voller Ehrfurcht und Emotionen streichle ich über seinen Rücken.

Da liegt er nun, der Keiler mit den leisen Sohlen, der so lang so heimlich war!

Es ist ein guter Schuss hinterm Blatt, ich wünsche ihm eine letzte gute Reise und bleibe noch paar Minuten ehrfürchtig vor ihm knien.


Die Bergung des Keilers verlangte nochmal alle Kräfte ab, da niemand im Revier war, der mir hierbei hätte helfen können.

Der Acker war hart gefroren, die fünfhundert Meter bis zum Auto waren eindeutig leichter gepirscht, als geborgen!

Waidmannsheil und Waidmannsdank, euer Dänu