Mitternachtspirsch

„Komm schon, Schatz, lass uns mal wieder pirschen gehen, wir haben das schon ewig nicht mehr gemacht!“

Das stimmt und er hat völlig Recht,  die letzten Wochenenden war ich nämlich vorwiegend damit beschäftigt wieder gesund zu werden oder mich so lang wie möglich in einer Sauna zu verkriechen, um der Kältewelle aus dem Weg zu gehen. Ja, ich stehe dazu. Mir war es viel, viel, viel zu kalt, um nachts bei minus 6 Grad draussen zu schlafen, trotz Hightechschlafsack und dergleichen.

Da bin ich Mädchen und da stehe ich zu.

Mir hat es gereicht bei minus 20 Grad mit Schülern auf einer Skipiste zu stehen.... 

Wie dem auch sei, da stehen wir nun, vermummt, wie die Bankräuber, es ist nicht kalt, sondern gerade richtig. Das Gebiet, welches wir uns vorgenommen haben, liegt an dem kleinen Bahnhof in dem Nest, in dem wir jagen. Ein altes, stillgelegtes Bahngleis, daneben ein riesiger, verwucherter Schilfgürtel. Schon bei Tag ist das eine glitschige Angelegenheit und gefühlt war die letzte Trockenperiode im Revier im Sommer 1203, alles steht irgendwie ein bisschen unter Wasser. Wir pirschen los, hinein in die stockdunkle Nacht. Pirschstöcke, Waffen und Pulsar natürlich griffbereit.  

Pirschen auf einem alten, abgelegenen Bahngleis hört sich erstmal ziemlich cool an, der Weg ist vorgegeben, man hat gute Sicht und so, woran aber die wenigsten denken: Diese Eichenbohlen sind verflucht glitschig. Für meine bessere Hälfte kein Problem, der spielt schliesslich schon seit immer Eishockey und kennt sich mit rutschigem Untergrund aus, ich hingegen verkrampfe mich bei jedem Schritt. „Pirschen gehen, heisst pirschen stehen!“ hat mein Lehrer in der Jagdschule immer gesagt, von Pirouettendrehen hatte er nichts erwähnt. Auf den Steinen kann man auch nicht gehen, die knirschen zum Gotterbarmen und würden auch einem tauben, einäugigen Wildschwein sofort verraten, dass mit diesem beiden Gestalten irgendetwas nicht ganz richtig ist. 

Bei so einer Pirsch verliert man leicht das Zeitgefühl, weil alles anfängt gleichmässig zu werden, Schritt, Schritt, Schritt, schauen, warten, hören, weiter. Immer zwei Schritt auf eine Eichenbohle, ich versuche im Kopf mitzuzählen, wie viele es schon waren, während ich mich auf die Geräusche der Nacht konzentriere. Das gelingt natürlich gar nicht. Schaurig steht über uns die alte Eisenbahnampel, zwei orange Augen inmitten dieser dunklen Nacht. Es ist schaurig, schaurig schön, dieser Abend könnte der Beginn einer ziemlich schönen Liebesgeschichte oder eines ziemlich guten Horrorfilms werden. 

Irgendwann haben wir es geschafft und können die Gleise hinter uns lassen, wir biegen auf den Weg zum Feld ein. Innerlich jubiliere ich, nie wieder Schienen in dieser Nacht, aber da habe ich mich eindeutig zu früh gefreut. Wir glasen die weiten Felder ab, so ein Wärmebildgerät ist wirklich praktisch und wir sehen viele, viele Hasen, unser dreibeiniges Reh in einem kleinen Sprung. Und dann sehen wir ganz hinten eine sehr verräterische Silhouette. Also langsam näher an den leuchtenden Punkt, leise, was aber über das Feld nicht sehr schwierig ist im Schlagschatten der Bäume am Feldrand. „Der Atomhase!“ flüstert Dänu mir zu, ein alter Bekannter, auf den fallen wir jedes Mal wieder rein, der Kerl ist so dick, dass man ihn schier für einen Überläufer halten könnte, wenn man flüchtig hinschaut. 

Weiter gehts, über das Strässchen, das schon seit Ewigkeiten gesperrt ist und in Richtung eines weiteren Sauenparadieses. Händchen haltend unter dem weiten Firmament kommen wir zum nächsten stillgelegten Gleisbett, leise, leise, wie Tomte. 

Verständigung über Handzeichen, wir sind ganz nahe an den Schwarzkitteln dran, es riecht verdächtig nach Maggi. Schritt um Schritt, Atemzug um Atemzug, irgendwo müssen sie stecken. Leise, leise. KLONK! Ich knalle meinen Pirschstock gegen das Bahngleis, als ich versuche meinen Sturz auf den glitschigen Schienen abzufangen. So ein Dreck. Ich fluche innerlich, wie ein Rohrspatz, das haben sie mitgekriegt. Garantiert. Also weiter. Über so einen grobscholligen Acker läuft man schon am Tag nicht gut, aber in der Nacht ist auch der eine echte Herausforderung. 

Wir beenden unsere Runde ohne nennenswerten weiteren Kontakt. Schön war es trotzdem, solche Nächte schweissen zusammen.

„Aber über diese verlorene Pirsch wirst du jetzt nicht schreiben können, oder? Das war doch blöd, die paar Vögel, ein Dachs und ein paar Hasen.“

Nein, ich fand es ganz und gar nicht doof, sondern überaus spannend. 

 

Waidmannsheil