Jungs weg!?!?

Etwas verdrossen stapfe ich zu meinem Mittagsansitz, die Jungs weg...

irgendwo Dinge tun, die Jungs halt so tun.

Mich haben sie „vergessen“, man könnte auch sagen, dass ich stinkig bin, wenn nicht sogar richtig verärgert.

Dann sollen sie halt ohne mich zurechtkommen, gleichzeitig muss ich ein bisschen grinsen, denn das war wohl ihr Masterplan.

Sei's drum.

Da ich ohne die andere Hälfte des Jägerhaushalts derzeit kein Auto im Revier habe, muss ich halt laufen.

Gewehr geschultert, Wasser in die Cargohose, meine Revierhandtasche, neben Munition, Handy und Akku Pack.

Dieser kleine Stich, denn andere Mädels sehen im Revier immer blendend aus...

und ich?

Schlammcatchen mit Nessie und danach die Haare nicht gewaschen.

Das Bild erspare ich dem geneigten Leser.

Oder wie unser holländischer Mitjäger zu sagen pflegt:

„Spar dir die schicken GWG Klamotten.... für dich tuns auch Drillichhosen.“

Na denn.

So trotte ich, etwas selbstvergessen, vor mich hin und überlege, wo denn der ruhigste Ort sein könnte für einen feinen Mittagsansitz, gegebenenfalls mit Nickerchen.

Der alte Bahnhof, das passt.

Geräumige Schlafkanzel hinterm stillgelegten Gleis, ein lauschiges, verwunschenes Plätzchen.

Plötzlich ruft jemand hinter mir: „Genau auf dich hab ich gewartet!“

Innerlich wappne ich mich gegen eine Schimpftirade mit Polizeiandrohung, Papiere liegen alle in der Hütte, na prima.

„Aber Sie wissen schon, dass ich die mit dem Gewehr bin?“

Warum ist mein Mundwerk eigentlich gern so viel schneller, als mein Kopf?

Die Frau lacht verlegen.

„Wie kann ich Ihnen denn helfen?“

„Heute früh ist ein Reh auf unseren Hof gerannt, überall angeschlagen und jetzt liegt es in der Hecke.“

Na grandios. Auch wenn es „dazu“ gehört, kann ich nicht von mir behaupten, dass ich abfangen besonders gern mag. Und dann auch noch auf einem Hof, mit vielen Menschen.

Verflucht!

So schnell braucht man eben doch die Jungs.

Telefoniert, die bessere Hälfte holt mich mürrisch ab.

Kurzer Streit, wie immer, womit man besser abfängt.

Ich finde Messer, er findet Waffe, richtig ist vermutlich:

Kommt auf die Situation an. Wie auch immer.

Auf dem Hof haben wir erstmal geschaut, das Kitz lief bereits durch die Hecke und machte keinen schlechten Eindruck.

Nun war guter Rat teuer.

Das Tier war augenscheinlich klein, sehr, sehr klein. Angst quoll aus dem kleinen Kindergesicht, mir drehte es die Luft ab.

Das Kleine war so fidel, dass wir beschlossen, es auf dem Feld wieder auszusetzen .

Mit dem Kitz auf dem Arm, dem ich einbläute sich den Menschen nicht mehr so zu nähern, erreichten wir das nahe Feld.

Und das Kitz starb unter unseren Händen.

Ich konnte es nicht fassen!

Vor den Passanten musste ich mich zusammenreissen... bei so was, auch wenn ich selbst geschossen habe, kommen mir einfach die Tränen.

Ja, ich bin eine Heulsuse.

Was war da passiert?

Vermutlich ein nicht gemeldeter Wildunfall.

Das Kleine war ja, sichtlich fit, abgesprungen.

Bild: Wäre es nur auf seiner Wiese geblieben.
Bild: Wäre es nur auf seiner Wiese geblieben.

Beim Aufbrechen zeigten sich ein Lungenriss und ein Riss im Herzbeutel, der bereits stark eingeblutet hatte. Das Tier hat zu lange gelitten.

Es war ein sehr, sehr schwaches Geisskitz, dass wir sowieso hätten erlegen müssen, oder besser: ...sollen. Es wäre nicht über den Winter gekommen.

Ich hasse solche Momente, mir tat das Tier unglaublich leid... und anstatt sein Leiden zu verkürzen, habe ich es noch verlängert.

Es sah so fit aus, die drei Kratzer an den Läufen habe ich erst später gesehen.

Aber auch das ist Jagd.

Nur, weil ich den Jagdschein habe, bin ich nicht fehlerlos.

Eure Alica