Anika's Geschichte

© Story by Anika

Wenn die Nächte länger werden und der Regen Wiesen und Felder aufweicht, kein Korn mehr steht und der letzte Mais geerntet wurde.. dann findet man jeden Morgen neue Flächen vor, an denen Sauen über nacht gebrochen (also mit dem Wurf, der Nase, unter die Grasnarbe fahren und sie mit Schwung in eine andere Richtung befördern) und schöne ebene Flächen in eine Kraterlandschaft verwandelt haben. Da hilft es dann nur, schnell genug mit der Hacke anzurücken oder gleich den Landwirt mit Gerätschaft um Hilfe zu bitten, um alles wieder einzuebnen.

Die nächste zielführende Maßnahme ist dann natürlich der nächtliche Ansitz auf Sauen. Jetzt, bei halbvollem Mond, ist die Sicht bereits so gut, dass man auch ohne Nachtsichttechnik ausreichend viel sieht und reelle Chancen hat...

Während ich dick, wie für einen Winteransitz warm eingemummelt, auf dem Sitz verharre und mich auf eine mehrstündige Wartezeit gefasst mache, stehen sie noch weit vor Mitternacht auf einmal da!

Ein dicker schwarzer Bollen, unten an der Feldkante.

Das kann kein Reh sein.

Schlagartig bin ich sowas von hellwach, presse mir das Fernglas vor die Augen, höre schon mein Herz laut klopfen.. würde mir in dem Moment jemand den Puls messen, wäre der schon irgendwo im roten Bereich.

Da!

Ein zweiter, etwas kleinerer dunkler Schatten gesellt sich dazu.

Noch zu weit weg für einen sicheren Schuss, tauchen sie ein in dem Nebel, der natürlich immer im ungünstigsten Moment angewabert kommt.

Weg sind sie.

Ich glase die Wiesenhälfte zu meiner rechten ab, hier ist alles ruhig und in sanftes silbriges Licht gehüllt.

Ich blicke wieder nach links.

Mehrere schattenartige Umrisse sind in dem Nebelhauch zu erahnen.

Ich warte.

Und habe Glück...

Langsam zieht die kleine Rotte in meine Richtung.

Malträtiert dabei die Fläche schräg vor mir.

Nützt nichts... Warten.

Und irgendwie sind sie dann flott und in Bewegung, befinden sich nun direkt geradeaus vor mir in der Senke. Und "Senke" bedeutet im Nebel.

Verflucht noch mal, durchs Zielfernrohr ist nichts außer Watte zu erkennen.

Ich reiße wieder das Fernglas hoch, spreche die Sauen an (erkenne also die Leitbache, Frischlinge und Überläufer darin) und sehe, wie sich einer der Überläufer nach rechts absondert und frei und abseits steht.

Immer noch vom Nebel eingehüllt, halte ich die Waffe ruhig auf den schummrigen dunklen Schatten vor mir.

Und da ist sie, die Sekunde, die Lücke im Nebel, die ich brauche!

Ziel erfasst, breit und ruhig steht die Sau da, der helle rote Punkt ruht mittig auf ihrer Seite.

Ganz langsam und sachte berührt mein Finger den Abzug, kommt an den Druckpunkt und löst den Schuss aus. Vom Mündungsfeuer geblendet sehe ich durchs Fernglas noch drei der Sauen im Feld verharren und dann zügig Richtung Waldrand ziehen.

Mist.

War das die beschossene Sau?

Wo ist sie?

Der Nebel hängt wie ein fallender Vorhang über der Szenerie und nimmt mir wieder die Sicht.

Schon sind sie da: Sorgen und nagende Zweifel.

Was, wenn die Sau zurück in den Wald wechseln konnte?

Wir würden morgen früh ein Nachsuche-Team anfordern müssen. Es sind lange, lange Minuten die es dauert, bis ich den Schein der Taschenlampe meines Jagdherrn im meine Richtung kommen sehe. Ich bin aufgeregt, mir ist schon total schlecht und ich fühle mich hilflos, weil ich nichts sehen kann.

Er schaut mit der Wärmebildkamera in die von mir gezeigte Richtung.

"Waidmannsheil, Anika. Da liegt sie doch, mausetot."

Mir fällt hörbar laut ein Stein vom Herzen.

Wir verharren neben der Sau.

In Ermangelung eines erreichbaren Bruches gebe ich ihr den letzten Bissen mit den Blumen aus dem Feld hinter mir.

Dankbar bin ich und erleichtert.

Und ab hier beginnt der anstrengende Teil der Geschichte. Die Sau muss in die Wanne und in den Geländewagen gewuchtet werden, wir fluchen leise, schieben, drücken, ziehen..

Wie kann so eine kleine Sau denn so schwer sein?

Drin. Geschafft.

In der Aufbrechkammer wird sie aufgebrochen, also ausgenommen, der Aufbruch und die Proben entnommen und kühl verwahrt. Irgendwann nach Mitternacht bin ich daheim, die dreckigen Jagdklamotten liegen vor der Waschmaschine, ich war im Bad und sitze jetzt auf meiner Bettkante. Erzähle Dani und Aletta, die eifrig herumschnüffeln, die Geschichte und mache mir ein Bier auf. Soviel Zeit habe ich jetzt noch.

In ein paar Tagen, nach dem Abhängen, wird die Sau zerlegt, zu Braten, Burger-Patties und anderen Köstlichkeiten verarbeitet und landet dann irgendwann bei mir auf dem Grill oder auf dem Teller.

Waidmannsdank